Papa

Heute vor 7 Jahren bekomme ich einen Anruf. Es ist das Krankenhaus, in dem mein Papa seit fast 2 Monaten liegt.

„Bitte kommen Sie vorbei. Es ist so weit. Sie müssen ihre Einwilligung für die Abstellung der Geräte geben.“ Ich höre was gesagt wird. Ich lege auf.

Ich rufe meinen damaligen Kollegen an. „Ich muss ins Krankenhaus. Ich bin jetzt offline.“

Im Krankenhaus angekommen rufe ich meine Mama an. Zögernd fragt Sie mich: „Soll ich kommen?“ Tränen laufen über mein Gesicht: „Ja! Bitte komm!“. Ich rufe die Freundin meines Papas an. Sie macht sich mit meiner Tante auf den Weg.

Ich sitze im Raum. Vor mir liegt mein Papa. An ihm unzählige Geräte, Schläuche, Medikamente. Er wird nur noch am Leben gehalten.

Ärzte kommen und gehen.

Erst weiß ich nicht so richtig wo hin mit mir. Unsicherheit steigt auf. Dann habe ich den Impuls die Arme und Hände meines Papas zu streicheln. Ich traue mich und gehe dem nach.

Die letzten Wochen haben sich Wut, Trauer, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Hass, Sehnsucht und Leere in intensiven Wellen abgewechselt.  

Heute ist es anderes. Ich spüre einen Teil in mir, der klar ist, der präsent ist, ich spüre Kraft in mir.

Der Arzt kommt und bittet mich die Einwilligung zu geben. Ich lehne ab: „Ich möchte warten, bis meine Familie da ist“. Er geht.

Meine Mama kommt, etwas später Papas Freundin mit meiner Tante. Es ist Schichtwechsel. Nach 2h kommt der behandelnde Arzt. Wir gehen in ein Nebenzimmer. Er erklärt. Ich unterschreibe.  

Wir dürfen noch einmal mit meinem Papa sprechen. Dann werden wir hinausgebeten.

Es ist der 12.10.16, 17:50 Uhr – mein Papa wird offiziell für Tod erklärt.  

In einem Nebenraum können wir meinen Papa nochmal verabschieden. Ohne Geräte, ohne Lärm.

Wir betreten den Raum. Stille. Mein Blick fällt auf den leeren Körper. Ich spüre die Energie meines Papas nicht mehr. Ich spüre Leere, nichts als Leere. Damals war ich sehr unbewusst. Trotzdem verstehe ich das erste Mal in meinem Leben, was es bedeutet, wenn die Seele den Körper verlassen hat. Dann liegt dort nur noch eine leere Körperhülle. Wir schauen uns zu viert ratlos an. „Das ist er nicht mehr.“ sage ich. Wir verabschieden uns und verlassen den Raum.

Wir stehen an der S-Bahn Zoologischer Garten. Meine Mama fragt: „Können wir dich eigentlich allein nach Hause fahren lassen?“ Ich spüre ein klares Ja. „Ja das könnt ihr. Macht Euch keine Sorgen“ sage ich. Ich bin überrascht über meine Kraft. Ich fahre nach Hause. Ein Gefühl der Erleichterung breitet sich in meinem Körper aus. Zweifel kommen auf: „Müsste ich nicht traurig sein?“ Ich erlaube mir die Erleichterung zu spüren. Ich gehe ins Bett und schlafe 12 Stunden. Das erste Mal seit Wochen. 

Damals habe ich mich verurteilt, dass ich plötzlich so viel Wut für meinen Papa empfunden habe. Ich war überfordert mit allen Emotionen. Hatte niemanden, mit dem ich offen meine Gedanken und Gefühle teilen konnte. Mir sind alle Themen auf einmal um die Ohren geflogen. Heute weiß ich, was mein Papa mir gespiegelt hat.

Es ist der 20.9.23. Ich bin in der Pure Embodiment Ausbildung von Karin Nikbakht.

Ich sitze am Morgen auf meinem Kissen und atme tief ein und aus.  

Karin sagt:

„Jetzt holt Euch Euren Papa her. Stellt Euch Eurem Papa gegenüber und schaut ihn an.

Die Verbindung mit Eurem Papa zu klären, klärt die Verbindung mit dem Universum.

Wenn ich mit meinem Papa im Widerstand bin, dann bin ich im Widerstand mit der universellen Kraft.“

Der Satz sinkt in alle meine Zellen. Ich merke, wie es in meinen Körper einschießt. Ich sinke tiefer. Mein ganzes Leben lang habe ich mich nach einem Papa gesehnt, der mich hält, mir Sicherheit gibt, immer da ist, in seiner vollen männlichen Kraft. Gleichzeitig weiß ich, dass ich es vor Angst und Panik nicht hätte aushalten können, die Kraft zu sehen, die in mir steckt. 

Ich verstehe – er hat mir mein ganzes Leben lang gespiegelt, dass ich endlich zurück in meine eigene Kraft gehen soll und das von der ersten Sekunde an. Denn Sie ist in mir, ich wollte sie nur nie sehen und leben. Ich wollte immer, dass es andere Menschen für mich tun.

Er hat mir gezeigt, was es bedeutet, zart und verletzlich zu sein. Er hat mir gezeigt was Hingabe und anderen Menschen zu Dienen bedeutet.

Ich verstehe den Spiegel der unzähligen Male, die er mich verlassen hat und mit seinem Tod gänzlich gegangen ist. Ich habe mich mein ganzes Leben selbst verlassen, selbst verleugnet und wollte mich und meine Kraft nie sehen. Mein Papa hat mich verlassen, damit ich endlich in meine eigene Kraft komme und meine Liebe, meine Zartheit, meine Geschenke, in diese Welt bringe.

Ich atme weiter und spüre wärmende Hände an meinen Schulterblättern, die mich stützen und mir halt geben. Ich spüre meinen Papa. Dankbarkeit und Ruhe durchströmt meinen Körper.

Papa ich liebe dich. Papa ich danke dir.

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